Unsere Bewertung:

„Orwell“ ist eine Reihe verschiedener episodischer Simulationen rund um die Themen Überwachung und nationale Sicherheit. Die Reihe wurde vom deutschen Indie-Entwickler Osmotic Studios auf der Unity Engine entwickelt und von Fellow Traveller veröffentlicht. Sie erschien für Windows PC, OS X, Linux, Android und iOS.
Sie ist nach George Orwell benannt, dem Autor von „1984“.
Diese Rezension bezieht sich auf das erste Spiel der Reihe „Keeping an Eye on You“, das 2016 in fünf Episoden erschien.

Die Nation braucht Dich!
Wir sind „Orwell“Wir beschützen die Nation vor Verbrechern, vor Terroristen. Wir sind der Grund, weshalb die Nation so sicher ist. Unsere Verbrecherrate ist drastisch gesunken. Doch wir wollen mehr. Wir sind Orwell, wir suchen die Gefahrenquellen, bevor sie zuschlagen können.
Schließe Dich uns an. Hilf uns, die Nation noch sicherer zu machen und die potenziellen Verbrecher im Auge zu behalten. Hilf uns, zu sehen. Vorsicht ist besser als Nachsicht.

So oder so ähnlich kann man das Spiel zusammenfassen.
Orwell trägt seinen Namen nicht durch Zufall. Unsere Bewerbung wurde ausgesucht, wir arbeiten für Orwell, wir sind ein sogenannter Ermittler, wir arbeiten verdeckt mit unserem Vorgesetzten zusammen. Den wir zwar hören können, der uns aber nicht hören kann, damit wir ihn nicht beeinflussen können. Aber ist das nötig?

Nein.
Als Ermittler haben wir gleich am ersten Tag Pech. Während wir uns gerade erst einloggen, geht an einem Freiheitsdenkmal eine Bombe hoch. Nun, wie sollten wir besser unseren Wert beweisen? Denn wir suchen. Wir sind nicht aus der Nation, damit wir unparteiisch sind. Wir sollen suchen. Wie ein Hund durchschnüffeln wir. Videos, Artikel und … ja … Private Akten, private Websites, private Hardware. Wir schnüffeln. Und wühlen uns dabei immer tiefer in Leben, von denen wir nicht mehr als Momentaufnahmen sehen, doch diese nehmen wir als Entschuldigung, einzelne Brotkrumen an unseren Vorgesetzten zu schicken. Anhand von diesen wenigen Bruchstücken entscheidet er, ob wir einen Menschen als Gefahrenquelle einstufen oder nicht.
Wir fallen tiefer und tiefer in einen Staatsapparat und jeder Fallstrick, der uns aufhalten sollte, reißt unter unserem Gewicht.
Dabei kann der Spieler selbst bestimmen: Bin ich ein Arsch oder nicht? Aber bedenke immer: Gute Absichten sind der Weg zur Hölle. Du veränderst Menschenleben, du zerstörst Familien. Du entscheidest.

Orwell lässt mich immer mit einer Gänsehaut zurück. Bevor ich missverstanden werde, möchte ich mich ganz klar positionieren: Ich bin GEGEN Kontrolle, ich bin GEGEN das Einbrechen in die Privatssphäre, ich bin GEGEN das Brandmarken von Menschen. Aber: Ein völlig unkontrolliertes Internet ist auch nicht erstrebenswert und jede Medaille hat eine Vorder- und Rückseite.
Das, finde ich, macht dieses Spiel erst so interessant. Wären wir nur der Böse oder nur der Gute, dann wäre dabei kein Reiz. Aber Orwell zeigt beide Seiten auf. Jemand hat diese Bombe genutzt, um gegen uns zu protestieren. Jemand hat dabei wissentlich in Kauf genommen, Menschen zu töten und zu verletzen. Und dieser Jemand versteckt sich nicht nur feige, dieser Jemand hat den Daumen bereits auf dem nächsten Zünder und wenn wir nicht gut sind, dann werden weitere Menschen sterben.

Doch ist es richtig, dafür eine eventuell unschuldige Person ins Gefängnis zu bringen, nur als gefährlich eingestuft, weil wir von Anti-Depressiva herausgefunden haben und diese Person schon mal im Gefängnis war? Unser Vorgesetzter sieht nur diese Krumen. Was wir ansonsten noch gefunden haben, kann er nicht einsehen. Er fällt sein Urteil schnell und rasch.

Orwell kommt mit ruhiger Soundkulisse und schlichter, doch schöner Grafik daher. Die Entwickler haben sich sehr viel Mühe gegeben, ein aufwendiges und inhaltsvolles Spiel zu machen. Immer wieder wird am eigenen Moralkompass gerüttelt. Immer wieder verschwimmt die Grenze zwischen „Richtig“ und „Falsch“ so sehr, dass man schnell zu weit geht. Man ereifert sich, will Menschen retten. Und tritt in eine Falle, die einen mit einem schlechten Gewissen zurücklässt. Was tun? Uns sind die Hände gebunden, wir können nur weiter und weiter machen, in der Hoffnung, den besten Ausgang zu finden.

Dabei lässt uns das Spiel eigene Entscheidungen. Wir können Informationen ignorieren. Oft kommt es zum Konflikt. Wollte die Person den Polizisten verletzen und wenn ja, aus welchem Grund? Welche Information geben wir weiter? Was denken wir selbst? Sollten wir schneller handeln? Wie hättest du dich entschieden?

Mein Fazit

Schlichte, schöne Grafik und stimmige Musik. Viel Text und Mühe. Die Grenzen verschwimmen schnell und immer wieder.
Orwell will einen an den Rand der eigenen Moral bringen und macht dies mit einer erschreckenden Leichtigkeit. Wer bereit ist, sich auf diese Geschichte einzulassen, kann vielleicht sogar noch etwas über sich selbst lernen.
Orwell bekommt von mir eine klare Kaufempfehlung, aber auch mit einer kleinen Warnung: Ereifere dich nie zu sehr! ; )


Geschrieben von Judith


Links zu „Orwell“

Website des Entwicklers Osmotic Studios

“Orwell” auf Steam